1. Sicherung von Beweisen am Unfallort
Der erste Schritt einer Unfallrekonstruktion besteht in der Sicherung aller relevanten Spuren und Beweise. Dazu gehören:
• Fahrzeugspuren:
• Bremsspuren (Länge, Verlauf, Bremsintensität)
• Schleuderspuren
• Lackabrieb oder Splitter auf der Fahrbahn
• Schäden an Fahrzeugen:
• Verformungen, Eindellungen und Kratzer
• Position und Winkel der Schäden
• Unfallumfeld:
• Straßenverhältnisse (Trockenheit, Nässe, Glätte)
• Sichtverhältnisse (Beleuchtung, Hindernisse)
• Verkehrszeichen und Ampelschaltungen
• Position der Fahrzeuge nach dem Unfall:
• Endpositionen der Fahrzeuge (Stillstand)
• Orientierung der Fahrzeuge zueinander
• Zeugen- und Beteiligtenaussagen:
• Beschreibungen des Unfallhergangs durch Fahrer, Beifahrer oder Zeugen
• Emotionale und gesundheitliche Zustände der Beteiligten (z. B. Schock oder Alkoholbeeinflussung)
2. Analyse der physikalischen Spuren
Die gesicherten Spuren werden mithilfe physikalischer Modelle analysiert:
• Unfallkinematik: Berechnung der Bewegungsabläufe der Fahrzeuge (Geschwindigkeit, Verzögerung, Abprallwinkel).
• Bremsspur-Analyse: Aus der Länge der Bremsspuren und dem Straßenzustand lässt sich die Geschwindigkeit berechnen.
• Verformungsenergie: Die Schäden an den Fahrzeugen geben Aufschluss über die Kollision. Mithilfe von Deformationsmodellen kann die Kollisionsgeschwindigkeit abgeschätzt werden.
• Reaktionszeiten: Untersuchung, ob die Fahrer rechtzeitig reagiert haben (Bremsung, Ausweichen).
3. Technische Hilfsmittel
Die Unfallrekonstruktion nutzt moderne Technologien:
• 3D-Laserscanner: Für die exakte Vermessung der Unfallstelle und der Fahrzeugschäden.
• Drohnen: Zur Dokumentation der Unfallstelle aus der Vogelperspektive.
• Simulationen: Computersoftware (z. B. PC-Crash, V-SIM) simuliert den Unfallhergang basierend auf physikalischen Daten.
• Daten aus Fahrzeugen:
• Event-Data-Recorder (EDR), auch bekannt als “Unfalldatenschreiber”, speichert Geschwindigkeit, Bremsverhalten und Lenkwinkel.
• Elektronische Daten aus Assistenzsystemen (z. B. ABS, ESP).
4. Rekonstruktion des Unfallhergangs
Anhand der gesammelten Daten wird der Unfallhergang schrittweise rekonstruiert:
1. Bestimmung der Ausgangspositionen der Fahrzeuge und ihrer Geschwindigkeiten.
2. Analyse des Kollisionszeitpunkts:
• Winkel und Aufprallgeschwindigkeit der Fahrzeuge.
• Mögliche Ausweichmanöver.
3. Nachlaufphase:
• Bewegungen der Fahrzeuge nach dem Zusammenstoß.
• Endpositionen der Fahrzeuge.
4. Überprüfung von Alternativszenarien:
• Was wäre passiert, wenn einer der Beteiligten anders reagiert hätte (z. B. rechtzeitiges Bremsen)?
5. Unfallursachen und Verantwortlichkeit
Abschließend wird analysiert, welche Faktoren zum Unfall führten:
• Menschliches Fehlverhalten:
• Unachtsamkeit, Ablenkung, überhöhte Geschwindigkeit.
• Einfluss von Alkohol, Drogen oder Müdigkeit.
• Technische Mängel:
• Defekte Bremsen, Reifen oder Beleuchtung.
• Fehlerhafte Assistenzsysteme.
• Äußere Faktoren:
• Witterungsverhältnisse, Sichtbehinderungen oder Straßenschäden.
• Verantwortlichkeit:
• Wer hat gegen Verkehrsregeln verstoßen?
• Gab es vermeidbare Fehler oder Nachlässigkeiten?
6. Dokumentation und Bericht
Die Ergebnisse der Rekonstruktion werden in einem Gutachten zusammengefasst. Dieses enthält:
• Eine detaillierte Beschreibung des Unfallhergangs.
• Skizzen, Diagramme und Simulationen.
• Eine technische Analyse der Spuren.
• Schlussfolgerungen zu Unfallursachen und Verantwortlichkeiten.
Einsatzgebiete der Unfallrekonstruktion
• Gerichtliche Verfahren (z. B. bei strafrechtlicher oder zivilrechtlicher Klärung).
• Versicherungsfälle (Feststellung von Schadensersatzansprüchen).
• Präventionsarbeit (z. B. Verbesserung von Verkehrssicherheitsmaßnahmen).
Fazit
Die Rekonstruktion eines Unfalls kombiniert physikalische, technische und menschliche Aspekte, um den Unfallhergang so genau wie möglich zu verstehen. Sie ist ein wesentliches Instrument zur Klärung von Verantwortlichkeiten und Ursachen.